mehrere Täter

[Aufatmende]

Und jetzt auch noch meine Mutter auf einem Stuhl im Therapieraum. Ich habe ihr alles gesagt, was nie möglich war. Ich habe ein Meer geweint. Ich weiß nicht, wie ich schlafen soll.
Meine Schwiegermutter ist mit 94 vor 9 Tagen gestorben. Da ist also auch noch gegenwärtige Traurigkeit.
Zu viel auf einmal.

[(b)Engelchen]

Ich setz mich mal zu euch, wenn ich darf und zünde eine Kerze für die Schwiegermutter an.

[Aufatmende]

ACHTUNG TRIGGERT














Mama, du hast mir nur zugehört, wenn ich Klavier gespielt habe! 

Du hast mit dem Holzlöffel auf mich eingeprügelt.

Du hast mir den Mund mit Seife ausgewaschen, als ich dir erzählen wollte, was Papa macht.

Du hast kommentarlos die schmutzige Bettwäsche und unsere Kleidung gewaschen. 

Du warst blind und taub und stumm!

Du hast überhört, wenn Papa spätabends mit uns wegfuhr und mitten in der Nacht zurückkam. 

Du hast übersehen, wie übernächtigt wir uns zur Schule geschleppt haben.

Du hast mich festgehalten, als Papa mein Kind aus mir heraus geprügelt hat. Du hast das Embryo die Toilette hinuntergespült. Ich konnte mich nicht verabschieden, ihm keinen Namen geben. Das ist das Allerschlimmste, was du mir zugefügt hast!
Damit spätestens bist du zur MIttäterin geworden!

Du hast mich verlassen.

Du hast mich verraten.

Du hast mir deine Liebe nur mit Essen und Vorlesen und gemeinsamen Musizieren und Arbeiten im Haushalt gezeigt. “Ich hab’ dich lieb”, hat sich angefühlt wie: “Ich besitze dich”. 

Für die Aufatmende habe ich nochmal aufgeschrieben, was ich in Therapie ausgesprochen habe. 
Für die Aufatmende sage ich:

Ich kann dir nicht vergeben und ich will es auch nicht.

Du bist gestorben und begraben. 

Ich bin heute warmherzig und liebevoll.
Ich kann zuhören.
Ich kann dableiben, wo andere weghören oder weggehen.
Ich kann mich gleichzeitig schützen und abgrenzen.
Ich kann emotional musizieren.
Ich habe dich abgeschüttelt.
Ich lasse dich los und den Schmerz, den du mir zugefügt hast. 
Ich kann lieben und mich hingeben. 

Sie weinen. Sie klagen. Der ganze innere Ort ist eine Klagemauer.

Die Aufatmende ist nach wie vor nackt. 
Sie kreuzt die Arme über der Brust und verbeugt sich leicht vor mir:
Ich danke dir, dass du es für mich aufgeschrieben hast. Ich danke dir, dass du um mich weinst und um das, was nie da war.

[Eli]

Ich sitze mich mal still zu dir.
Das ist so schrecklich und das tut mir unfassbar leid
Wie kalt kann man dem eigenen Kind gegenüber bloß sein...
Gut dass sie nicht mehr da ist. Und niemanden mehr weh tun kann...

Ich schicke dir Wärme. Wenn ihr mögt. Es ist wunderbar dass du so fundamental anders als sie geworden bist.
Durch ganz viel Kampf und Anstrengung.

Eli

[Aufatmende]

.... und viele Jahre Therapie.
Es hat so viel Zeit und Lebenskraft verschlungen, dahin zu kommen, wo ich heute stehe.

Danke Eli

[Meereskind]

Für die Aufatmende habe ich nochmal aufgeschrieben, was ich in Therapie ausgesprochen habe.

Liebe Aufatmende,
Ich habe großen Respekt für deinen Mut das so auszusprechen. Das zu tun ist sicher auch schmerzhaft und auch heilsam,weil du Ungesagtem eine Stimme gibst. 

.... und viele Jahre Therapie.
Es hat so viel Zeit und Lebenskraft verschlungen, dahin zu kommen, wo ich heute stehe.

Als ich das gerade gelesen habe,dachte ich: und du stehst noch und darauf kannst du stolz sein.
Das wollte ich dir noch kurz hier lassen

[Aufatmende]

Jetzt wollte ich hier schreiben und bekomme keine Genehmigung von der Aufatmenden. Da ich noch immer übe, mir selber wertschätzend und respektvoll zu begegnen, nehme ich das jetzt ernst und schreibe nicht mehr. Nur, dass viel in Bewegung ist, sich viel verändert und der sichere innere Ort mit Liebe erfüllt ist.

[Bao]

Ich habe dich gelesen. Und ich fühle mit dir.

So viel Fassungslosigkeit über das, was du überleben musstest. Und so wertvoll, Dir selbst gegenüber wertschätzend und respektvoll zu sein und Dir allem zum Trotze dieses Versprechen zu erfüllen.

Ich kann nicht viel sagen, außer diesem Gefühl: ich nehme Anteil an deinen Worten. Es tut mir unsagbar leid, was Du erleben musstest.

Was ist es, das die Aufatmende braucht, damit Du schreiben darfst? Oder anders, was befürchtet sie vielleicht und ist deshalb dagegen?

Wenn ich ihre Worte lese, möchte ich ihr so gerne eine Decke reichen, will aber nicht übergriffig sein.

[Aufatmende]

Das dritte Mal hintereinander in einer Therapiesitzung hat meine Mutter auf einem Stuhl im Therapieraum gesessen.
Die Aufatmende hat Ausdruck für ihre Angst gefunden: für die Angst, etwas zu verlieren, was sie nie besessen hat: die Liebe ihrer Mutter. Die sie einfach nicht geben konnte.
Die Wütende konnte endlich ihrer Wut, meiner eingefrorenen Wut Ausdruck geben. Ich habe mit einem Holzlöffel auf den Stuhl eingeschlagen, bis er in meiner Hand in zwei Teile zerbrochen ist.
Ich kann dazu stehen, dass diese gewalttätige Rache in mir ist, weil ich sie nur imaginativ und nicht real ausdrücke.
Der ganze sichere innere Ort verändert sich, die Stellung der Innenpersonen zueinander.
Heute bin ich verwirrt und müde, bin hier durch andere Threads geeiert und habe jedenfalls in Baos Fall nichts sonderlich Hilfreiches geschrieben.
Meine Therapeutin hat mich immer wieder geerdet, aufgezählt, wo heute Beziehung und Liebe und Wärme in meinem Leben ist.
Meine Mutter hat mich angesehen, sie konnte nicht mehr durch mich hindurch sehen. Sie ist auch nicht wie eine Salzsäule in tausend Stücke zersprungen. Sie ist noch da in meiner Vergangenheit. Ich habe das Gute aufgezählt, was ich von ihr habe und ihr in der Sitzung davor das zurückgegeben, was nicht zu mir gehört. Es waren drei kräftezehrende Termine. Jetzt will ich mich einfach nur ausruhen.
Im Außen war die Trauerfeier für meine Schwiegermutter, ein weiteres Familienevent, ein Hausverkauf steht an. Alles zu viel auf einmal.

[Meereskind]

Liebe Aufatmende,
das klingt alles wirklich kräftezerrend und ich hoffe du findest trotz der vielen Anlässe im Alltag genug Zeit um die auszuruhen.
Ich fühle mich manchmal nach Therapieterminen so als hätte ich am ganzen Körper Muskelkater und finde es dann auch sehr schwierig den Alltag mit all seinen Herausforderungen zu stemmen.
Ich habe deinen Beitrag gelesen und mich trotz der Anstrengung die du gut beschreibst sehr für dich gefreut. Ich hoffe du verstehst das nicht falsch,aber ich freue mich für dich,dass du diese Gefühle zu und rauslassen konntest. Mh,ich kann das gerade nicht besser ausdrücken.
Und ich hoffe du findest genug Momente der Ruhe um wieder zu Kräften zu kommen

[Aufatmende]

Danke Meereskind.
Ja, ich finde Ruhe, habe diese Woche Urlaub und bin extremst langsam.
Im Innen sortiert sich alles neu. Das verwirrt mich!

[Bao]

Liebe Aufatmende,

erstmal zu deiner Ansicht ganz kurz: natürlich war es hilfreich was du geschrieben hast. Es hat das Schweigen gebrochen und mir geholfen zu meinen Gefühlen zu stehen. Das mal so am Rande. Und es tut mir sehr leid, wenn ich dich verletzt haben sollte.

Ich hoffe, du kannst dich von den anstrengenden Sitzungen und Terminen erholen.

Wut ist gesund und auch ihr Ausdruck zu verleihen. Aber auch wieder wahnsinnig anstrengend.

Ich wünsche dir erholsame Ruhe und Kraft. Sei gut zu dir.

[Aufatmende]

@Meereskind: den Muskelkater kenne ich auch. Es ist besser, seit ich das meiner Therapeutin zurückgemeldet habe und sie darauf achtet, dass ich besser auch muskulär "rausgehe", die Arme ausbreite, ein paar Schritte durch den Raum laufe, tief ausatme.

Nein, Bao, du hast mich nicht verletzt. Ich habe nur beruflich mit Menschen zu tun, die wenig rückmelden können, geschweige denn, sich wehren können und ich werde besser aufpassen, wo ich evtl. verbal Grenzen überschreite, ohne es zu wollen. Danke, dass ich jetzt weiß, dass es dennoch hilfreich war!

Ich fühle mich wie der Prophet Elia, der in der Wüste sitzt und:"Es ist genug", sagt. Aber der Alltag, auch ohne Arbeit, ist sehr herausfordernd.

[Bao]

Ich habe nur beruflich mit Menschen zu tun, die wenig rückmelden können, geschweige denn, sich wehren können und ich werde besser aufpassen, wo ich evtl. verbal Grenzen überschreite, ohne es zu wollen.

Da trägst du viel Verantwortung und ich glaube, du hast dafür ein gutes Gespür. Und manchmal fühlt sich jemand dennoch anders, als du es beabsichtigt hast und das ist nicht deine Schuld.

Ich wünsche dir, dass du Ruhe finden kannst von all dem Anstrengenden gerade um dich herum.

[Evenstar]

Lese erst jetzt das mit deiner Mutter.

So schlimm, was sie getan und nicht getan hat! Es tut mir leid, dass du keine fürsorgliche Mutter hattest, eine die glaubt, hinschsut und verteidigt. Ich hoffe, die Wütende, die Aufatmende und alle anderen finden einen guten Weg, mit all dem umzugehen.


Und für den Häuserverkauf, Ausräumen, die Trauer/Abschied nehmen viel Kraft