Auf rohen Eiern laufen

Hier können Betroffene über ihre Erlebnisse diskutieren.
Bao
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Auf rohen Eiern laufen

Beitrag von Bao »

Ich würde den Raum hier gerne für alle nutzen, die sich angesprochen fühlen in welcher Weise auch immer. Gerade auch für den Umgang miteinander hier im Forum. Daher verstehe ich das hier nicht als "meinen" Thread , sondern als offenen Raum in den jeder mit seiner Meinung eingeladen ist, egal welche Meinung es gibt zum Thema. Ich würde mich sehr über Diskussionen, Ansichten, Anregungen, Gefühle und Erfahrungen von und mit euch freuen.

Mir ist aus gegebenen Anlass :wink: aktuell sehr bewusst, wie sehr ich selbst oft das Gefühl habe im Austausch mit anderen (hier und aber auch überall sonst) auf "rohen Eiern zu laufen" und mich verstricke. Ich bin durch meine Erfahrungen oft bevor ich was sage bei dem möglichen Gefühl desjenigen, dem ich etwas sage oder schreibe. Und manchmal (noch schlimmer als vorher) kommen erst nach dem Absenden so Szenarien in meinen Kopf, wie es auch verstanden werden könnte. :shock: :oops:

Das Problem dabei ist natürlich, dass ich ja gar nicht wissen kann, wie der andere etwas auffassen KÖNNTE, weil er seine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse einbringt in den Kontakt. Und vielleicht liest derjenige durch seine Brille etwas ganz anderes, als ich sagen wollte.

Also schon klar, Empathie ist eh Voraussetzung aber ich fühle mich oft "überempathisch" in ungesunder Weise und verstricke mich dadurch leicht und mit echter Empathie hat das auch nicht mehr viel zu tun dann.

In meinem Kopf ist das alles auch ganz einfach und klar.
Person A sagt etwas, Person B antwortet und Person A kann nachfragen oder sagen dass sie etwas nicht mag oder so nicht sieht oder drauf antworten dass sie sich verstanden fühlt. Setze ich jetzt mal zwei empathische Gesprächspartner voraus, die gelernt haben für sich selbst gut zu sorgen und bei sich zu bleiben ist das sicher super einfach irgendwie. Man kann authentisch drauf reagieren, jeder weiß niemand verletzt gerade absichtlich und sollte es doch passieren, ist es schnell ausgeräumt und damit kann das wirklich Gesagte wirken wie es gut ist für beide und entweder man hat eine gemeinsame Sicht oder kann sich ergänzen oder gesund abgrenzen und voneinander lernen durch unterschiedliche Sichtweisen. Der Nährboden der Vielfalt :D

Aber erleben tu ich das in mir gerade anders und gerade hier haben ja viele von uns eben auch in der Kindheit gelernt, dass sie es eh nie richtig machen können. Ich habe oft Angst zu verletzen und bleibe nicht bei meinen Worten und Gedanken, sondern versuche sie anzupassen an die Erwartung, die ich von dem anderen haben könnte. Ich sage dann zwar nichts was ich nicht denke, aber eiere oft ganz schön rum, wie ich es nun sage und ob überhaupt und erkläre viel zu viel dazu, was ich eben wie nicht meine. :roll: das dann sicher anstrengend zu lesen auch.

Sowohl wenn ich jemandem schreibe aber vor allem wenn mir jemand antwortet und ich anderer Meinung bin. Und dann kommt es zwangsläufig zu Verstrickungen. Meist nur in mir selbst emotional, was echt schwer aushaltbar ist und ich versuche es so gut es geht nicht in den Kontakt zu tragen, weil ich ja weiß, es ist verstrickt. Aber manchmal dann auch im Austausch, weil sich jemand nicht wertgeschätzt fühlt, wenn ich seine Meinung nicht teile oder sich angegriffen fühlt, ohne dass ich das habe vorhersehen können, weil es wahrscheinlich gar nichts mit mir direkt zu tun hatte.

Und schwierig ist auch eine vollkommen andere Meinung in den Raum zu werfen. Nur so als: schau mal, SO KANN es auch gesehen werden. Muss ja nicht, kann aber. Da höre ich hier oft raus, dass ich dann überfordere. Und ich will nicht überfordern.

Ich möchte gerne lernen. Ich weiß, das geht mit korrigierenden Erfahrungen und das habe ich hier gerade erlebt 8) und bin selbst noch immer ganz schön bewegt davon und es sortiert sich um.

Und deshalb frage ich euch: wie ist das bei euch? Gerne auch an die, die da inzwischen Neues gelernt haben. Wie habt ihr das geschafft? Wie geht ihr mit Verletzungen um dann? Und wem es ähnlich geht wie mir: habt ihr auch diese Sehnsucht danach das zu verändern?

Ich glaube, dass es für die Heilung unabdingbar ist, weil erst dann kann ich bei mir bleiben und den anderen auch wirklich sehen. Und ich wünsche mir das sehr.

Freu mich auf eure Gedanken!
Bao.
Aufatmende
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Re: Auf rohen Eiern laufen

Beitrag von Aufatmende »

Naaaiiin das kenne ich üüüberhaupt nicht! (Ironie :mrgreen:)
Es gibt sogar einen Namen dafür: Einwandvorwegnahme.
Kann man als strategisches Mittel einsetzen, habe ich besonders in Streits mit meinem Mann benutzt. Ich habe alles, was ich sagte, auf die Goldwaage gelegt, um ihn ja nicht zu reizen. Inzwischen habe ich gelernt, in die Auseinandersetzung zu gehen und mich abzugrenzen. Nicht nur bei ihm, sondern auch in der Arbeit.
Das ging aber immer nur so weit, bis sich welche im Innen gefürchtet haben. Dann musste ich sie wieder integrieren, bevor ich mein Verhalten in der Gegenwart ändern konnte.
Rückfälle sind Vorfälle!
Luisa

Re: Auf rohen Eiern laufen

Beitrag von Luisa »

Ich kenne das von mir selbst auch sehr gut :roll: Ich würde sogar sagen, es beeinträchtigt mich tagtäglich, und zwar nicht gerade unerheblich. Ich verbringe endlos viel Zeit damit, das immer wieder zu reflektieren, um überhaupt soziale Kontakte aufrechterhalten zu können.

Und diese Verstrickungen sind wahrscheinlich auch ein Grund dafür, warum mir soziale Kontakte generell so unbegreiflich schwerfallen.

Mir wird übrigens auch oft gesagt, dass ich überfordernd oder kompliziert bin, obwohl ich eigentlich bloß dazulernen möchte. Ich hab mir im RL angewöhnt, einfach alles direkt nachzufragen, was ich nicht verstehe. Viele Menschen finden das wahrscheinlich seltsam und nervig, aber manche sind davon sogar begeistert und kommen super damit klar.

Keine Ahnung, ob das hilfreich ist, aber ich kann ja einfach mal meine Gedanken dazu äußern und wenn irgendwas nicht passt, muss das ja auch niemand annehmen.

Ich glaube, bei mir sind das oft auch Projektionen. Also dass ich meine eigenen Gefühle und Gedanken auf mein Gegenüber projiziere und dann automatisch erwarte oder davon ausgehe, dass die Person das genauso sieht und empfindet wie ich. Und dann interpretiere ich da unbewusst vielleicht auch viel mehr rein, als da eigentlich ist. Mir ist das oft gar nicht so bewusst, glaube ich. Und vielleicht sind es noch nicht mal nur meine eigenen Gedanken und Gefühle, die ich auf andere Menschen projiziere, sondern zusätzlich noch Gedanken und Gefühle von unguten Menschen, die ich verinnerlicht habe.

Ich weiß nicht. Ich habe generell große Schwierigkeiten damit, meine Gefühle, Gedanken und überhaupt alles im Innen zuzuordnen. Ich weiß oft gar nicht, woher sie kommen, was sie mir sagen wollen und wohin sie eigentlich gehören. Und mir wird zunehmend klar, wie viele Probleme daraus resultieren, dass das bei mir selbst nicht geordnet ist. Und das wirkt sich dann natürlich auch auf zwischenmenschliche Beziehungen aus. Deswegen wäre es umso wichtiger, dass das für mich selbst im Innen so klar wie möglich ist.

Was mir noch dazu einfällt: Je mehr ich einer Person vertraue und je besser ich sie kenne, desto leichter wird auch die Kommunikation.
Ich habe zwei sehr gute Freunde und das sind die einzigen Menschen, bei denen ich nicht das Gefühl habe, auf rohen Eiern laufen zu müssen. Und ich glaube, das liegt daran, dass die Beziehungen grundsätzlich geklärt sind und dessen versichere ich mich auch immer wieder. Keine Ahnung, ob das gut oder schlecht ist. Aber ich brauche diese sichere Basis. Dass die Beziehung bestehen bleibt (auch wenn man mal nicht derselben Meinung ist), dass man sich gegenseitig lieb hat und sich nicht verletzen will, dass man ehrlich über alles redet und dem Gegenüber sagt, wenn irgendwas nicht passt, dass man alles fragen darf, aber nicht alles beantworten muss und dass eben alles sicher innerhalb der Beziehung ist. So ungefähr. Ich hab da mit manchen Freunden sogar feste „Regeln“ vereinbart und das hilft mir sehr. Und jedes Mal, wenn diese Unsicherheit wiederkommt, kann ich mich rückversichern oder an die Regeln erinnern und das hilft mir wirklich sehr.

Und gerade wenn ich jemanden noch nicht so gut kenne, dann versuche ich, Kritik beispielsweise so zu transportieren, dass ich klarstelle, dass ich die Person nicht verletzen will etc. Nach dem Motto: „Ich hab dich lieb und schätze dich als Mensch wert, unabhängig davon, dass ich etwas an deinem Verhalten (nicht an deiner Person!) kritisiere.“

Und ich habe gelernt, dass ich nicht der Sklave meiner eigenen Gefühle sein muss. Und deswegen versuche ich, bewusst wahrzunehmen, wie ich mich gerade fühle und dann entscheide ich möglichst rational, wie ich damit umgehen möchte. Also ich kann mich zum Beispiel bewusst entscheiden, das zu äußern, was ich äußern möchte, obwohl ich Angst vor Verstrickungen oder Ablehnung etc. habe.

Und was ich auch festgestellt habe: Es ist (auch) meine Verantwortung, wie ich damit umgehe. Und da versuche ich, mich selbst so zu verhalten, wie ich mir das von meinem Gegenüber wünsche, anstatt zu erwarten, dass das irgendwie von alleine funktioniert oder so. Und ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn ich selbst möglichst klar usw. auftrete, tut das mein Gegenüber oft auch mehr. Und dann gibt es meistens auch weniger Verstrickungen.

Und ich finde, dass ich da nicht unbedingt die Verantwortung für mein Gegenüber trage. Also ich trage die Verantwortung dafür, was ich sage und tue, aber was mein Gegenüber daraus macht, liegt bei ihm und nicht bei mir. Wobei mir das doch irgendwie selbst zu sehr vereinfacht vorkommt, ehrlich gesagt. Ich bin da selbst noch nicht am Ende meines Denkprozesses angekommen.

Kann sein, dass das nicht ganz das Thema ist, was du meinst, Bao. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber vielleicht hilft es ja trotzdem irgendwem. Ich bin allerdings selbst noch ganz am Anfang und ich bin auch erst 23, also kann gut sein, dass das Mist ist, was ich geschrieben habe. Dann tut es mir leid. Ich muss und möchte selbst noch so viel lernen…

Puh, allein diesen Beitrag zu verfassen und abzuschicken, war schon nicht leicht. Ich hoffe, es ist okay, was ich geschrieben habe. Falls nicht, kann das gerne gelöscht werden. Ich will nichts falsch machen oder so.

Liebe Grüße
Luisa
Bao
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Re: Auf rohen Eiern laufen

Beitrag von Bao »

Aufatmende hat geschrieben: Do Dez 14, 2023 4:32 pm Einwandvorwegnahme.
Danke für das Wort! Das kannte ich noch nicht, macht aber Sinn.
Ja, ich glaube dieses Vorwegnehmen ist ein erlernter Mechanismus, der mal notwendig war um Situationen nicht eskalieren zu lassen. das verdammt schmerzhaft anzusehen. So wie du das ja auch beschreibst in deiner Ehe früher. Und klasse, dass du dich inzwischen abgrenzen kannst :D

Wir zwei hatten auch so einen Moment, oder ich hatte den mit dir. Hoffe, das ist okay das hier zu schreiben. Aber es passt so schön und hat einen positiven Verlauf genommen. Deshalb traue ich mich das als Beispiel zu nehmen.

Du hattest bei mir geschrieben vor Tagen. Und ich war total dankbar dafür und habe mich gefreut, dass du das getan hast. Den Inhalt deiner Worte konnte ich aber nicht annehmen in dem Moment und habe mich abgegrenzt. Allerdings war da wohl noch einiges anderes in mir, dass du dadurch wohl mit abbekommen hast, obwohl es gar nicht in deine Richtung ging, sondern nur der Auslöser war. Und eigentlich war das, was du getan hattest total wertvoll für mich, weil es dieses Fass in mir geöffnet hat. Ich konnte plötzlich sagen "ich fühle mich unwohl!". Aber nicht unwohl wegen deinen Worten, sondern mit all dem anderen in mir. Und das fühlte sich befreiend an. Ich hab MICH plötzlich gefühlt.

Und dann las ich bei dir und du hattest einen doofen Tag in Summe und schriebst, dass du bei mir auch nicht hilfreich gewesen wärst im Beitrag. Und ich habe mich schuldig gefühlt. Mir tat das plötzlich so leid, dass du alles scheinbar abbekommen hast, was gar nicht dir galt.

Und jetzt hätte es gut passieren können, das wir uns meiden. Ist es aber nicht. Wir haben kurz drüber geschrieben und es war in Ordnung. Da war viel gegenseitiger Respekt drin. Und ich finde das sehr wertvoll. Weil ich lerne, dass ich sagen darf "das ist nicht meins gerade" und du dich nicht gleich ganz aus dem Kontakt ziehst, sondern sagen kannst "okay!".

Und als das dann gelöst war, da wurde mir bewusst, dass in deinen Worten auch eine Wahrheit steckte, die ich nicht sehen wollte. Und erst nach dem Abgrenzen konnte ich das sehen und annehmen auch.

Danke dafür!
Bao
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Re: Auf rohen Eiern laufen

Beitrag von Bao »

Hallo Luisa,

vieles das du beschreibst, ist in mir genauso und ich habe ähnliche Gedanken dazu. gerade auch zu den Projektionen.

Das hier:
Luisa hat geschrieben: Do Dez 14, 2023 11:28 pm Ich weiß nicht. Ich habe generell große Schwierigkeiten damit, meine Gefühle, Gedanken und überhaupt alles im Innen zuzuordnen. Ich weiß oft gar nicht, woher sie kommen, was sie mir sagen wollen und wohin sie eigentlich gehören. Und mir wird zunehmend klar, wie viele Probleme daraus resultieren, dass das bei mir selbst nicht geordnet ist. Und das wirkt sich dann natürlich auch auf zwischenmenschliche Beziehungen aus. Deswegen wäre es umso wichtiger, dass das für mich selbst im Innen so klar wie möglich ist.
trifft es für mich auch sehr gut. Diese Vielfalt innen führt zu ständigen Abwägungen und meist auch zu Verständnis für andere. Das ist einerseits echt gut, weil man nicht festgefahren handelt aber wie du auch beschreibst unglaublich anstrengend, weil ich selbst oft dann gar nicht mehr weiß, wo ICH da bin und was überhaupt meins ist.

Dazu passt auch gut das hier:
Luisa hat geschrieben: Do Dez 14, 2023 11:28 pm Und ich habe gelernt, dass ich nicht der Sklave meiner eigenen Gefühle sein muss. Und deswegen versuche ich, bewusst wahrzunehmen, wie ich mich gerade fühle und dann entscheide ich möglichst rational, wie ich damit umgehen möchte. Also ich kann mich zum Beispiel bewusst entscheiden, das zu äußern, was ich äußern möchte, obwohl ich Angst vor Verstrickungen oder Ablehnung etc. habe.
Und ich danke dir dafür, dass du das so gut formuliert hast. Also einerseits mehr aufs Gefühl hören, sich aber andererseits nicht abhängig machen von eigenen Gefühlen, oder?

Und hey, du machst GAR NICHTS falsch und schon gar nicht hättest du "Mist" geschrieben. Ganz im Gegenteil, du hast genau formuliert, was ich im Eingangspost auch meinte. Danke dafür! Und es fühlt sich gut an für mich, da so verstanden zu werden.

Und auch wenn es nicht so wäre wie mein Empfinden, wäre es total wertvoll für die Diskussion.

Viele Grüße dir!
Bao.
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